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Die sorgende Gemeinschaft

Prof. Gregor Hohenberg
Zurzeit entwickelt das Telemedizinzentrum Hamm unter Leitung von Professor Hohenberg eine ganz neue Form der telemedizinischen Demenzbetreuung. In zertifizierten digitalen Pflegekursen werden Nachbarschaftshelfer in die Lage versetzt, die Situation von pflegebedürftigen Angehörgigen im häuslichen Umfeld zu verbessern.
Herr Professor Hohenberg, was treibt Sie an, das Netzwerk Telemedizin in der Selbsthilfe aufzubauen?

Unser Ziel ist die Verbesserung der Gesundheitsversorgung mit den heute zur Verfügung stehenden digitalen Mitteln der Telemedizin. Wenn wir die Situation von 70 % aller Pflegebedürftigen, die heute im häuslichen Umfeld betreut werden, nachhaltig verbessern wollen, müssen wir die Gesellschaft auf breiter Basis ertüchtigen. Denn de facto sind die Angehörigen der größte Pflegedienst Deutschlands. Daher kommt die Logik, dass wir einen Pflegekurs für alle anbieten, vergleichbar mit Erste-Hilfe-Kursen.

Sie meinen damit die zertifizierten Pflegekurse zum Nachbarschaftshelfer?

Genau. Im Rahmen unseres Netzwerks bieten wir telemedizinische Pflegekurse an, mit denen wir unsere Nachbarschaftshelfer ausbilden und qualifizieren. Diese besuchen dann die Pflegbedürftigen, meistens ihre eigenen Angehörigen, also Oma, Opa, Onkel oder Tante zuhause und führen mit ihnen das therapeutische Programm auf spielerische Weise durch. Das Nachhaltige und Besondere an unserem Netzwerk ist, dass die Nachbarschaftshelfer nie auf sich alleine gestellt sind, sondern immer in Begleitung oder mit digitaler Unterstützung der Trainer handeln. Diese Form der telemedizinischen Demenzbegleitung ist vollkommen neu.

Benötigen die Trainer auch eine besondere Qualifikation?

Unsere Trainer sind qualifizierte Seniorendemenzbegleiter, die wir selbst auch telemedizinisch ausbilden. Letztlich basiert unser Netzwerk auf drei Ebenen: Die Nachbarschaftshelfer arbeiten an der Basis und werden durch die Trainerebene ausgebildet und per Hotline oder vor Ort unterstützt. Die Trainer wiederum werden von unserem inneren Expertenkreis, der aus hochqualifizierten Fachärzten und Professoren besteht, beraten und weiterqualifiziert. Das Geniale daran ist, dass wir für jedes Problem eine Handlungsempfehlung geben können, nicht einzeln, aber im Netzwerk.

Wer kann Nachbarschaftshelfer werden?

Jeder. Unser Ziel ist es, pflegende Angehörige so fit zu machen, dass sie mit den dementen älteren Menschen etwas Sinnvolles unternehmen können. Regelmäßig eine Stunde Training ist zum Beispiel super für junge Leute, die oft gar nicht wissen, worüber sie mit ihrer dementen Oma reden sollen.

Wie muss man sich die Kurse vorstellen?

Das sind Webkonferenzen mit einem definierten Foliensatz. Da wir darauf achten, dass die Kurse in individuellen, kleinen Gruppen stattfinden, können wir dort auch konkrete Tatbestände und Fragen besprechen. Zusätzlich stellen wir einen kompletten Satz von E-Learning-Kursen zu den verschiedensten Grundlagen-Themen zur Verfügung.

Wie lange dauert so ein Kurs und was kostet er?

Er ist kostenfrei und dauert 10 Stunden, zum Beispiel in zwei Blöcken freitags und samstags. Am Ende erhalten Sie ein Zertifikat. Uns ist es wichtig, darüber hinaus regelmäßige Webkonferenzen anzubieten, in die unsere Nachbarschaftshelfer jederzeit reingehen können. Denn uns geht es gar nicht nur um den einen Kurs, uns geht es vor allem darum ein agiles Unterstützungsnetzwerk aufzubauen.

Wie wird der Kurs bisher genutzt?

Wir haben bis jetzt 5.300 Anmeldungen. Das erscheint bei ca. 2.000 Demenzdiagnosen pro Tag in Deutschland vielleicht erstmal nicht viel, ist aber trotzdem extrem positiv, wenn man bedenkt, dass wir erst seit Dezember am Start sind und im Oktober 22 richtig loslegen wollen.

Welche Zukunft sehen Sie für das „Netzwerk Telemedizin in der Selbsthilfe“?

Wir wollen uns in kleinen Schritten entwickeln und uns die Zeit nehmen, Erfahrungen zu sammeln. Die fundierte Ausbildung unseres Teams ist extrem wichtig, ebenso wie die wissenschaftliche Evaluierung durch begleitende Studien. Für mich geht es darum, dass wir uns in Deutschland auf den Weg machen und sagen können: Ja, es gibt eine Telemedizin, es gibt sehr gute telemedizinische Pflegekurse und ein sehr gutes Netzwerk. Das ist unser Anspruch. Welchen Nutzen wir daraus ziehen und wie der gemessen werden kann, das wird erst die Zukunft im Detail zeigen.

Herr Professor Hohenberg, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führten wir im Juni 2022 im TMZ Hamm

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